Die SAP fokussiert sich mehr und mehr auf den ERP Nachfolger S/4HANA und setzt gleichzeitig ihre Cloud-first Strategie konsequent um. Bleibt das SAP BW (mal wieder) auf der Strecke?
Solange es das SAP BW gibt, so alt ist die auch die Diskussion darüber, dass das Business Warehouse (BW) aus dem Hause SAP ausgedient hat und für tot erklärt wurde. Wenngleich es über Jahre quasi die Standard-Lösung für BI und Analytics in SAP geprägten Architekturen war, konnte der Stellenwert des SAP BW aus Sicht der Anwender selten über den einer Zweckgemeinschaft hinauswachsen. Gleichzeitig befeuerte der Hersteller selbst die andauernde Skepsis durch immer wiederkehrende Strategiewechsel im Produktportfolio des eigenen Business Intelligence (BI) Bauchladens.
Mittlerweile kann das SAP BW auf eine über 20 Jahre lange Historie zurückblicken. Doch wenn man die Entwicklungsfokussierung der SAP in der jüngeren Vergangenheit betrachtet und sich die letzten Produktauskopplungen genauer betrachtet, stellt sich einmal mehr die Frage nach der Daseinsberechtigung.
Das hässliche Entlein bleibt das hässliche Entlein
Fakt ist, dass der HANA-motivierte Nachfolger des SAP ERP eine omnipräsente Wahrnehmung genießt. Auf der einen Seite wurde lange und intensiv darüber gestritten, bis wann man Release-Sicherheit mit dem Betrieb seiner alten SAP ECC Instanzen genießt. Hier hat die SAP nach langem hin und her wenig überraschend dem Druck der Anwender nachgeben und eine notwendige Umstellung auf S/4HANA signifikant nach hinten datiert. Mindestens genauso leidenschaftlich wird seitdem über die Frage diskutiert, ob nun eine Greenfield-, Brownfield oder gar eine Multicolor-Migration Richtung S/4HANA das gewinnbringendste Szenario für den eigenen Anwendungsfall ist. Und so ganz nebenbei stellt sich für den Kunden und seinen hauseigenen Rechenzentrumsbetrieb die Frage, ob man das S/4HANA zukünftig noch on-premise betreiben will oder die anstehende Migration gleich für den Schritt in die Cloud nutzt.
Doch die Umstellung auf S/4HANA stellt das Anwenderunternehmen auch vor die Wahl sich mit neuen Konzepten und Möglichkeiten in punkto Auswertung und Analytics auseinanderzusetzen. In der Vergangenheit wurden alle berichtsrelevanten Informationen ins angeschlossene Data Warehouse transferiert, um sie dort nach einer mehr oder weniger aufwendigen Aufbereitung dem Anwender mit einem Zeitversatz von einem Werktag für Analysezwecke zur Verfügung zu stellen. Neuerdings kann dieser Umweg aber eingespart werden. Der S/4HANA Werkzeugkasten umfasst mit Embedded Analytics weitreichende Möglichkeiten, die dem User vielerlei Analyse-Optionen an die Hand geben. [Butsmann2019] Über sogenannte analytische Fiori-Apps können sowohl Ad-hoc Auswertungen als auch Zeitreihen-Analysen mit geringem Horizont direkt dort vorgenommen werden, wo die Daten entstehen. Dabei lassen sich diese Apps den kundenindividuellen Bedürfnissen in ausreichender Tiefe anpassen.
Vor diesem Hintergrund stellt sich mehr denn je die Frage, welche Daten noch für weitergehende Aufbereitungen, Harmonisierungen und Analysen in ein dediziertes Data Warehouse überführt werden müssen. Die SAP BW Skeptikern auf der Fachseite wird dieser Trend sicher in ihrer Wahrnehmung bestätigen, dass das Business Warehouse ohnehin das „hässliche Entlein“ ist und man mit den neugewonnenen Möglichkeiten im S/4HANA Umfeld zukünftig einen großen Bogen einschlagen sollte.
Der Analytics-Werkzeugkasten wird vielfältiger
Das einsetzende Klagelied auf das Business Warehouse von SAP begründet sich auch darin, dass die Walldörfer dem früheren Flaggschiff in Sachen BI und Analytics mittlerweile eine stiefmütterliche Bedeutung zugutekommen lassen.
Neben der Modullösung S/4 Finance war eben das SAP BW das damalige Vorzeigeprodukt, das man mit BW on HANA und anschließend BW/4HANA auf die neue HANA-Technologie gehoben hat. [Knigge2021] Nicht wenige Kunden nutzten eben diese Auskopplung, um erste Gehversuche im HANA-Umfeld zu unternehmen und sich dabei einiger Sorgenfalten hinsichtlich Performance sowohl im Backend als auch in den Berichtsantwortzeiten zu entledigen.
Dies ist inzwischen über 10 Jahre her und seitdem hat sich nicht nur der Leistungsumfang des S/4HANA erheblich erweitert. HANA wird seitens SAP ganz klar als nachhaltig strategische Entwicklungs- und Integrationsplattform positioniert, der in den vergangenen Jahren viele weitere ergänzende Lösungen auf eben jener Technologie entwachsen sind.
Neben dem BW/4HANA besteht nun beispielsweise durch eine HANA-native Nutzung auch die Möglichkeit reinrassiges SQL Data Warehousing zu betreiben. Abgesehen von der Offenheit weitere Nicht-SAP-Quellen anzubinden, bietet ein SQL DWH Ansatz natürlich die Chance bestehendes SQL-Know-how zukünftig auch im SAP-Kontext einzubinden. Zudem können Modellierungsmethoden, wie Data Vault, in einem HANA-nativen Data Warehouse Anwendung finden, was unter SAP BW-Bedingung bisher nicht möglich war.
Darüber hinaus wurde mit der SAP Analytics Cloud (SAC) eine neue cloudbasierte Plattform aus der Taufe gehoben, die fortan die zentrale Lösung für unternehmensweite Bedarfe in punkto Reporting, Visualisierung, Planung und Vorhersage sein soll. [Sidiq2020] Bestehende Einzellösungen, wie z.B. SAP Lumira, Integrierte Planung (IP) oder Predictive Analytics wurden bereits abgelöst oder werden nach und nach in die SAC überführt. Hinzu kommt, dass die Analytics Cloud u.a. direkt mit S/4HANA kommunizieren kann. Dies erweitert den Analytics-Funktionsumfang aus S/4HANA Sicht und bietet integrative Reporting-Optionen, die ein separates SAP BW nicht (mehr) erforderlich machen.
Es ist natürlich nachvollziehbar, dass neben den Diskussionen und Entwicklungen rund um S/4HANA vor allem die neuen Lösungen, wie HANA SQL Data Warehousing und SAC, seitens SAP ins Schaufenster gestellt werden, um entsprechende Aufmerksamkeit zu wecken.
Doch was wird aus SAP BW?
Der Druck wächst
Auch ein Softwareriese, wie die SAP, kann Entwicklungen und Trends am Markt nicht leugnen und muss sich permanent veränderten Bedingungen stellen.
Mit Tableau, Qlik und Power BI haben die Walldörfer schon seit einiger Zeit namenhafte Konkurrenz in Sachen Reporting und Visualisierung. Durch die neu gewonnene architektonische Offenheit der HANA-Technologie, sind viele Unternehmen nun in der Lage Frontend-Werkzeuge, die zuvor lediglich den Stellenwert einer standalone Abteilungslösung hatten, auf ein Enterprise-Niveau zu heben. Da die SAP in der Vergangenheit vor allem damit beschäftigt war, ihr Frontend-Portfolio regelmäßig neu zu sortieren, konnten die Wettbewerber hier nicht nur aufholen, sondern in ausgewählten Funktionsvergleichen die SAP was Marktanteile angeht auch hinter sich lassen. Und mit Salesforce (Tableau) und Microsoft (Power BI) hat es SAP zudem mit Anbietern zu tun, die über ausreichend Entwicklungskompetenzen verfügen, um die gewonnene Stellung zu behaupten.
Die zunehmende Cloudifizierung in den Unternehmen lässt zudem weitere Konkurrenz auch fürs Backend auf den Plan treten. Da viele IT-Abteilungen und deren angeschlossenen Rechnungszentrums-Betreiber sukzessive Unternehmensapplikationen in die Cloud migrieren, werden auch Anwendungsalternativen der großen Cloud-Anbieter, wie Microsoft (Azure), Amazon (AWS) oder Google (GCP) genauer geprüft. Die Palette leistungsfähiger Alternativen hier ist breit. Zudem fassen immer mehr Managed Service Anbieter auch im deutschsprachigen Markt Fuß. Die Entwicklung und Verbreitung von Software-as-a-Service (SaaS) Angeboten, wie Snowflake ist rasant.
Im gleichen Maße, wie in den Fachabteilungen der Wunsch nach Self-Service Freiheiten und Autonomie im Business Intelligence Kontext formuliert wird, werden cloudbasierte Data Warehouse-Lösungen quasi „Out-of-the-Box“ eine ernstzunehmende Alternative. Der Handlungsdruck auf die SAP nimmt somit von Kundenseite und dem Wettbewerb im Gleichschritt zu. Neuen Anforderungen der Anwender und State-of-the-Art Lösungen der neuen Konkurrenz, wird man zukünftig nicht mehr mit dem Angebot von gestern begegnen können.
SAP Data Warehouse Cloud als legitimer SAP BW Nachfolger?
Das jüngste Kind in der BI und Analytics Familie der SAP ist die sogenannte SAP Data Warehouse Cloud (DWC). Das erste rein cloudbasierte DWH aus dem Hause SAP soll ein Angebot für die Fachanwender sein, denen Freiheit und Flexibilität nur im Frontend nicht mehr ausreicht.
Über sogenannte Spaces werden den Nutzern eigene Datenräume zugewiesen, in denen individuelle Modellierungen, Aufbereitungen und Aggregationen, bis hin zur Integration externer Daten zugestanden werden. Für letzteres gibt es einen stetig wachsenden Fundus an bereitgestellten Konnektoren. Über eine SQL-Schnittstelle kann das Berichtswerkzeug der Wahl angebunden werden, wobei eine nahtlose Integration mit der SAC gegeben ist.
Mit dem neuen DWH Setup trägt die SAP schlussendlich der Entwicklung am Markt Rechnung, dass Data Warehouse-as-a-Service Angebote immer häufiger nachgefragt werden und man dieses Feld nicht alleine dem Wettbewerb überlassen wollte. Neben dem SAP BW und der Alternative des HANA SQL DWH, reiht sich das DWC nun als dritte Data Warehouse Lösung in das SAP-Produktportfolio ein. Mit der bereits zuvor beschriebenen SAP Analytics Cloud für Reporting, Visualisierung und Planung, ist die DWC das zweite rein cloudbasierte Produkt im Analytics Schaufenster der SAP, die hier konsequenterweise die ausgegebene Cloud-first Strategie in die Tat umsetzt.
Das SAP BW ist tot – lang lebe BI
Und was darf man aus dieser Entwicklung schlussfolgern? Das SAP BW als solches wird über kurz oder lang gänzlich von der Bildfläche verschwinden. Die SAP wird nicht drei DWH Lösungen parallel weiterentwickeln und zudem weitere Ressourcen in die Analytics Cloudplattform investieren. Hier wird eine mittelfristige Fokussierung der Entwickler-Kapazitäten insbesondere zugunsten der reinen Cloudangebote erfolgen.
Zudem ist auf Kundenseite nicht erkennbar, dass auf lange Sicht eine Abkehr von der begonnenen Cloudifizierung erfolgt. Warum sollte auch? Vielmehr werden S/4HANA Anwenderunternehmen ausreichend große Teile ihres bisherigen Reportings mit den neuen Embedded Analytics Möglichkeiten direkt im S/4HANA Universum abbilden können und ergänzender Weise die SAC für Bedarfe hinsichtlich Data Storytelling nutzen. Dem Wunsch nach Autonomie und Demokratisierung für einzelne Fachbereichsanforderung kann dann mit DWC Mitteln entsprochen werden, wenn nicht schon alternative Angebote der Wettbewerber Einzug erhalten haben.
Das heißt: SAP BW ist (fast) tot, aber es wird auch in Zukunft weiterhin ein sehr lebendiges Business Intelligence Angebot seitens SAP geben.
* Der Beitrag spiegelt die Meinung des Autors wider und ist keine allgemeingültige Meinung des TDWI. Als TDWI bieten wir die Plattform, alle Themen und Sichtweisen zu diskutieren. *
Literaturverzeichnis
[Knigge2021] Knigge, Marlene; Hesselhaus, Ruth: SAP BW/4HANA – Das umfassende Handbuch (2021). SAP PRESS / Rheinwerk, Bonn.
[Sidiq2020] Sidiq, Abassin: SAP Analytics Cloud – Das Praxishandbuch (2020). SAP PRESS / Rheinwerk, Bonn.
[Butsmann2019] Butsmann, Jürgen; Crumbach, Manfred; Franke, Jörg; Köhler, Benjamin; Morgenthaler, Jan: SAP S/4HANA Embedded Analytics – Architektur, Funktionen, Anwendung (2019). SAP PRESS / Rheinwerk, Bonn.
Gute Analyse und Zusammenfassung Daniel!
Danke für diesen Artikel!
Lernen Sie die Vorzüge von SAP Data Warehouse Cloud (DWC) kennen: Von der Datenbewirtschaftung bis zur Visualisierung sind alle notwendigen Werkzeuge für den Aufbau einer modernen und cloudbasierten Data-Warehouse-Landschaft enthalten. Selbst hybride Architekturen sind ohne Probleme möglich. Fachabteilungen erfahren, wie sie über virtuelle Arbeitsbereiche (Spaces) die zentralen Unternehmensdaten ohne Datenkopien oder Dateidownloads mit ihren lokalen Daten anreichern.
Buchtipp: SAP Data Warehouse Cloud
https://www.espresso-tutorials.de/produkt/data-warehouse-cloud/